BAD SCHWALBACH. Esther Engelke packt beherzt zu und zupft Blätter von der großen Brennnesselstaude. „Haben Sie keine Angst vor dem Brennen?" will eine Teilnehmerin wissen. "Da gibt es natürlich einen Trick", sagt die Kräuterexpertin aus Wiesbaden. Man müsse nur fest genug zupacken, um die Brennhärchen zu neutralisieren. Wenn man aus der Nessel kulinarische Spezialitäten zaubert, was im zweiten Teil des Kneipp-Nachmittags rund um diese Pflanze auch noch geschehen soll, kann man sie am Brennen zuverlässig hindern, wenn man übergießt oder einen Smoothie im Mixer daraus macht. „Den Mixer überlebt kein Brennhärchen", sagt Engelke, hier unter ihrem Namen „Kräuterschwesther" auftretend. Der Kneipp-Verein Bad Schwalbach hat sie engagiert, um rund um die Heilpflanze des Jahres 2022 ein Seminar mit Theorie und Praxis abzuhalten.
Eine hoch interessierte Kleingruppe folgt ihr durch den Kurpark. Treffpunkt ist der Heilpflanzengarten, wunderbar gepflegt und üppig - doch hier wächst gar keine Nessel. „Die braucht man auch nicht extra anzupflanzen, die sucht sich ihre Standorte selbst", sagt Engelke, im Hauptberuf Marketingmanagerin, aber immer mehr ihr Faible für Heilpflanzen und die Natur in den Vordergrund stellend. Und einige Hundert Meter weiter finden sich dann auch die charakteristischen Blätter der Brennnessel in großer Zahl, dicht am Weg, deswegen sei es meist keine gute Idee, hier zu sammeln, sagt Engelke - wegen der Hunde. Ohnehin meint sie, dass sowieso in jedem Garten eine kleine wilde Ecke, in der auch Brennnesseln wachsen dürfen, sein müsste. Und in der Natur findet man sie eigentlich überall. Insekten lieben die kleinen unscheinbaren Blüten der Pflanze, schon allein das ist eine wichtige Existenzberechtigung des „Unkrauts", wie man früher zu sagen pflegte. Heute sind es „Wildkräuter", die wertvolle Eigenschaften haben: Die Brennnessel zum Beispiel ist harntreibend, blutreinigend und kann gegen rheumatische und andere entzündliche Erkrankungen helfen. Auch gegen Potenzstörungen werde sie angewendet, berichtet Engelke. Die Pflanze verfüge über eine große Menge an Vitamin C, „sechsmal mehr als eine Zitrone". Kalzium, Kalium, Phosphor, sekundäre Pflanzenstoffe und weitere gesunde Inhaltsstoffe seien in dem grünen Kraut enthalten, und die Samen der Pflanze hätten nicht nur einen leckeren nussigen Geschmack, sondern seien auch sehr proteinreich und deswegen gerade für Veganer eine gute Nahrungsergänzung.
Nur Gutes also - und dass die Brennnessel, der die Rechtschreibreform vor einigen Jahren das seltene dritte N im Namen bescherte, auch gut schmeckt, beweist die„Kräuterschwesther" mit dem kleinen, gemeinsam zubereiteten Menü in den Räumen des Kneipp-Vereins. Wegen einer Gewittervorhersage hat sie bereits vorausschauend genug Blätter geerntet. Doch der Kurparkspaziergang glückt noch bei Sonnenschein. In der Kneipp-Küche geht es dann an die Zubereitung eines mehrgängigen Nessel-Menüs - Spritz als Aperitif, frittierte Blätter als Tempura-Variante, Risotto, Zaziki und süße Muffins. „Die Rezepte werden auf alle Fälle nachgekocht", kündigt eine Teilnehmerin an.
Wiesbadener Kurier
Von Anja Baumgart-Pietsch
Link zum Artikel